Gastbeitrag von MK
Dass „der Mensch“ ein im tiefsten Grunde polyamores Wesen mit einem unbändigen Hang zu sexueller Lustbefriedigung ist, dürfte inzwischen mehr als evident sein. Nicht erst seit dem Bestseller „Sex at dawn – how we mate, why we stray and what it means for modern relationships“ von Christopher Ryan und Cacilda Jethá (2010, deutsche Ausgabe: „Sex – die wahre Geschichte“ 2016), der vergnüglich und glaubhaft die evolutionäre Sexualgeschichte der Gattung Homo genauer unter die Lupe nimmt, sondern einfach aus der Alltagserkenntnis heraus, dass monogame Beziehungen in kurzer Zeit fast zwangsläufig zerbröseln (siehe Scheidungsrate und Dunkelziffer der Trennungen ohne Scheidung), Seitensprünge bei allen Geschlechtern eher die Regel als die Ausnahme sind und dass die herrschenden Priester und Könige stets ihre Macht vor allem über die Kontrolle der Sexualität ihrer Gläubigen und Untertan wahre Geschichte“ 2016), en ausgeübt haben.
Denn „freie“ Sexualität ist herrschaftsfrei,
sie kann sich keinen gewollten und „künstlichen“ Normen unterwerfen, weil sie ein Teil unserer evolutionären, genetischen Natur ist. Deshalb ist sie auch per se gefährlich, weil sie hohes rebellisches Potenzial enthält.
Fazit: in fast allen „Herrschaftsreligionen“ und autoritativen, männerdominierten Regimen ist die Monogamie, die Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes und im schlimmsten Falle sogar die grausame und lebensbedrohende Genitalverstümmelung der Frau gang und gäbe. Zum Glück gibt es aber auch heute noch Menschen (viele Frauen, aber auch Männer), die einen sehr ursprünglichen, unverstellten, freiheitlichen, oft intuitiven (nicht-rationalen) Zugang zu ihrer „Menschlichkeit“ haben und ihrer inneren Stimme folgend, solche Fremdbestimmung bewusst oder unbewusst ablehnen und, sofern sie den Mut haben, gegen den „Mainstream“ leben.
Dass es recht wenige Menschen sind,
die ganz bewusst und offen polyamor leben, ist kein Wunder, denn die sozialen Sanktionen auch in unserer ach so liberalen Gesellschaft gehen weit über einen Gruppenzwang hinaus und sind rechtlich (auch bei bürgerlicher Heirat, nicht nur der kirchlichen) und ganz allgemein noch schier unüberwindlich. Wer kann es sich schon leisten, an seiner Haustür an Tag 1 eine Partnerin mit Kuss begrüßen zu können, an Tag 2 eine andere und an Tag 3 eine weitere, wenn Frau Nachbarin das sieht? Man mag gar nicht an Gesellschaften denken, die bereits harmlose Homoerotik unter Todesstrafe stellen, aber mir kann auch niemand weis machen, dass nicht auch der dogmatischste IS-Kämpfer heimlich, wenn er ganz alleine auf seinem Wüstenposten ist, auf seinem Handy die „perversesten“ Pornos anschaut.
Tja, die menschliche Natur eben, die sich niemals unterdrücken lässt …
… Zum eigentlichen Thema. Ich habe im Laufe der letzten Jahre immer mehr meine eigene polyamore Neigung gespürt, gegen alle gesellschaftlichen Konventionen für mich selber angenommen und zum Teil, auch gegen meine monogame Ehe, ausgelebt. Dabei habe mich jedoch „seltsamerweise“ nie „schlecht“ gefühlt, sondern immer gedacht, auf dem „richtigen Weg“ zu sein, auch wenn ich das rational nicht ausreichend begründen konnte. Im Zuge meines tieferen Reflektierens dieser Position, habe ich auch allmählich andere Bereiche meines Lebens unter diesem Aspekt ganz überraschend neu erkannt.
Seit etwa 10 Jahren
tanze ich Salsa, Bachata und Kizomba, habe aber auch alle Standardtänze, Swing, Tango etc. ausprobiert und mir ist allmählich klar geworden, dass sich hier für viele Menschen ein ungeheuer vitales, vergnügliches und vor allem gesellschaftlich anerkanntes „Ventil“ auftut, ihren polyamoren Neigungen nachzukommen. In der Salsa ist der „Partnerwechsel“ nicht nur empfohlen, sondern geradezu heiß erwünschte „Pflicht“, denn jeder Tänzer, jede Tänzerin kann bestätigen, dass es fast immer langweilig wird, wenn man mehr als 3 Tänze hintereinander mit demselben Partner macht (das wäre die „monogame Tanz-Variante“). Wenn man aber zwischendurch mehrmals den Partner wechselt, kann es nach dem 5. tanz durchaus sein, dass es wieder mit dem ersten Partner erneut großen Spaß macht. Er oder sie hat sich inzwischen „warmgetanzt“, neue Moves gesehen und aufgenommen, die Musik hat gewechselt etc. Der Lateiner würde sagen: „variatio delectat“.
Ich nenne dies die „kleine, gesellschaftlich akzeptierte Polyamorie“, da sie alle wichtigen Kennzeichen derselben „großen“ enthält: zunächst einfach mal Lust, dann durch den Tanz eine wunderbare Befriedigung der Lust (wenn auch nicht rein sexuell), danach eine Trennung, bevor alles zur langweiligen Routine wird, erneute Lust mit einem anderen Partner/Partnerin, auf den man sich ganz neu und spannend einstellen muss. Und das ganze begleitet von einer ungemein positiven, stimulierenden, bewegungsintensivierenden Musik, die den ganzen Körper und vor allem die Körpermitte (Hüfte, Becken, damit die Regionen der Sexualität) anspricht. Was kann es schöneres geben? … selbst Sex wird oft nicht lustvoller erlebt …
Meiner Ansicht nach gibt es aber eine graduelle Abstufung der Tänze im Aspekt der Polyamorie.
Swing ist fast noch universaler, wenngleich auch nicht so nah und berührungsintensiv, weil hier jede Geschlechtertrennung aufgehoben ist: jeder kann „leader“ oder „follower“ sein, ob Mann mit Mann, Frau mit Mann, Mann mit Frau und natürlich (sehr oft): Frau mit Frau. In der Salsa wird es immer noch ein bissel als seltsam angesehen, wenn zwei Männer miteinander tanzen und einer perfekt „die Frau “ gibt … das ist der Macho-Anteil in diesem Tanz, den es halt (leider) traditionell auch gibt; wenn Frauen miteinander tanzen, wird das als total OK empfunden. Salsa folgt wegen des Partnerwechsels, auch wenn die gleichgeschlechtlichen Variationen eher unüblich sind und dann kommt der Tango, bei dem oft eine festere Paar-Konstellation existiert, aber der Partner auch durchaus gewechselt werden kann. Die klassischen Standard-Tänze werden in der Regel mit einem festen Tanzpartner getanzt, aber auch hier kann dieses „monogame“ Schema zugunsten eines Partnerwechsels „aufgeweicht“ werden.
So, das wär’s erstmal zum Thema „Polyamorie im Alltag“
… ich denke, die ursprüngliche Natur des Menschen wird sich immer Bahn brechen, auch wenn wir noch so „akkulturiert“ sind und sie sucht sich ihre Lebens- und Daseinsbereiche spontan und von selbst, im Tanz als „kleine, gesellschaftlich akzeptierte Polyamorie“ oder hoffentlich irgendwann in irgendeinem offenen, menschlich-freiheitlichen Gesellschaftssystem als „partnerschaftliche Polyamorie“, die vielleicht eines ganz fernen Tages auch bürgerrechtlich akzeptiert und gültig sein kann.
Tanzt bis dahin euer eigenes Leben, Leute, so oder so …
Mit be-„swingten“ Grüßen, MK